Donnerstag, 29. Juni 2017

Für alle oder für viele?


In den letzten Tagen hat mich diese Frage vermehrt beschäftigt im Blick auf die morgige Abstimmung über die "Ehe für alle". Und weil es dazu in meinem Kopf und in meinem Herzen ziemlich rund geht, habe ich mich entschieden, Kopf und Herz in einen Blogpost zu kippen und zu hoffen, dass das mir und vielleicht auch noch ein paar anderen Menschen etwas bringt.

Bevor ich loslege, möchte ich aber noch eines klarstellen: Was ich hier schreibe, sind meine persönlichen Gedanken. Ich schreibe hier weder im Namen meiner Gemeinschaft noch im Namen der Kirche. Ich schreibe hier noch nicht einmal als Theologin (auch, wenn ich das natürlich bin), sondern in erster Linie als Mensch, der dabei ist, sich eine Meinung zu bilden. Ich bin in diesem Prozess noch nicht am Ende angelangt, und werde vermutlich auch noch ein Leben lang brauchen, um diesen großen Fragen nachzugehen. Wer meint, in dem, was jetzt folgt, irgendwelche Tendenzen zu erkennen, den kann ich daran nicht hindern, aber dem möchte ich auch sagen, dass das weder meiner Absicht noch meinem momentanen Empfinden entspricht.

Hier kommt jetzt also - vermutlich ziemlich unsortiert - das, was mich zum Thema gleichgeschlechtliche Ehe und Partnerschaft bewegt:

  1. Ich finde es unheimlich schwer, nur in der Theorie über Homosexualität oder homosexuelle Menschen zu sprechen. Ich habe zu viele Freunde, enge wie weniger enge, die homosexuell sind, und von denen ich weiß, dass ihnen keine Theorie gerecht wird. Ich denke, das wird ähnlich sein wie beim Reden über das Ordensleben oder die Ordensleute: wenn jemand schlecht über z.B. den Zölibat spricht, bin damit zwar nicht ich persönlich gemeint, aber nachdem ich ihn persönlich lebe, betrifft es mich dann eben doch auf eine gewisse Weise persönlich.
    Bei all meinen Überlegungen geht es mir weniger um Theorien als um konkrete Menschen und ihr Leben. Das mag jetzt vielleicht manchen zu nachgiebig oder wissenschaftlich zu unsauber erscheinen, ist aber die einzige Möglichkeit für mich, mich diesem Thema zu nähern. Auch ich kann nicht aus meiner menschlichen Haut.
  2. Ich glaube fest, dass Gottes Plan für jeden Menschen eine Form von Keuschheit einschließt. Das ist in manchen Fällen (z.B. meinem...) die Form des Zölibats, oder um es mit einem sehr viel schöneren und poetischeren Begriff zu sagen, die Form der jungfräulichen Keuschheit. Für viele andere ist es die eheliche Keuschheit, also eine Form der Keuschheit, die weniger mit Enthaltsamkeit und viel mehr mit ganzer Hingabe zu tun hat.
    Damit ich mir selbst und meinen Mitmenschen gerecht werden kann, brauche ich die Keuschheit, denn nur in ihr kann ich mich selbst und meine Mitmenschen als die sehen, die Gott erschaffen hat, und die Liebe als Erfüllung des Plans Gottes für jeden von uns sehen und leben. (Wer zu diesem Thema mehr wissen möchte, dem empfehle ich die Theologie des Leibes von Johannes Paul II. - es gibt dazu vieles im Netz und außerdem sehr gute Bücher, besonders hervorheben und empfehlen möchte ich hier die Theologie des Leibes für Anfänger von Christopher West.)
    Unter Keuschheit verstehe ich den Teil der Liebe, der vollkommen selbstlos ist und der kein Eigeninteresse vertritt, sondern nur das große Ganze und den Anderen sieht. Keuschheit will keine schnelle Befriedigung, sondern sucht das wahre Glück. Keuschheit heißt auch Treue, Ganzhingabe, vollkommenes Vertrauen und Sich-Anvertrauen. Wer keusch in einer Beziehung lebt, lebt diese Beziehung nicht auf Zeit, sondern auf Ewigkeit, und ist offen für alles, was diese Beziehung mit sich bringt, Gutes wie Schlimmes, Leid oder Glück. Keuschheit ist ein bedingungsloses Ja an Gott und an den Plan, den er für mich hat.
  3. Die sakramentale Ehe gibt es nur zwischen Mann und Frau, genauso wie es sie auch nur zwischen Getauften gibt. Die sakramentale Ehe ist zum Wohl der Gatten und für Kinder offen.
  4.  Ich bin zwar keine Verfechterin der strengen Trennung von Staat und Kirche, finde aber trotzdem, dass die beiden durchaus unterschiedliche Meinungen und Standpunkte vertreten dürfen. Aufgabe des Staates ist es unter anderem, dafür zu sorgen, dass unter seinen Bürgern eine gewisse Form von Gerechtigkeit herrscht. Wie weit er in moralischen Fragen auf die Kirche hören muss oder soll, bleibt immer Verhandlungssache. Hier ist es die Pflicht der Kirche, sich in die Diskussion einzuschalten, und die Pflicht eines jeden Christen, bei Bedarf Stellung zu beziehen.
  5. Ich finde es scheinheilig, wenn wir als Kirche uns über die Frage der Ehe zwischen Homosexuellen furchtbar aufregen, solange unser Hauptargument dabei ist, dass Kinder immer ein Recht auf Eltern beiderlei Geschlecht haben, und dass zwei Männer oder zwei Frauen nun mal biologisch keine gemeinsamen Kinder zeugen können. Wenn ich mit dem Wohl der Kinder argumentiere, muss ich mich genauso gegen Alleinerziehende wehren, gegen Patchworkfamilien (in denen zwar vielleicht beide Geschlechter gegeben sind, aber dafür die Stabilität fehlt), gegen Scheidung, und gegen Eltern, die ihr Kinder sowieso vom ersten Lebensjahr an kaum sehen, weil die Eltern arbeiten und die Kinder ihre wachen Stunden in Krippe, Kita, Hort und sonstigen Betreuungsangeboten verbringen.
  6. Es gibt keine Wahlfreiheit, wenn es um sexuelle Orientierung geht. Genauso wenig, wie ich als heterosexueller Mensch entscheiden kann, dass ich jetzt homosexuell sein möchte (oder bi oder was auch sonst immer), kann das ein homosexueller Mensch entscheiden. Warum Gott den einen Menschen so, den anderen anders erschaffen hat (oder zumindest zugelassen hat, dass er sich so entwickelt, ohne dass der Mensch selbst darin frei entscheiden konnte), weiß ich nicht. Sollte ich eines Tages Gott gegenüber stehen, könnte es passieren, dass ich ihn das frage. Aber vielleicht wird das dann auch nicht mehr nötig sein.
  7. Ich finde, wir brauchen in der Gesellschaft eine neue Diskussionskultur. Ich will nicht als homophob abgestempelt werden, nur weil ich nicht gedankenlos die Regenbogenfahne schwenke. Ich möchte gehört werden mit meinen Fragen und Bedenken, und ich möchte wirklich diskutieren können, auch, wenn manche Thesen dabei vielleicht nicht für alle angenehm sind. Ich finde es auch nicht schön, wenn mir Menschen sagen, dass sie mein Leben für unnatürlich halten, weil ich ja anscheinend meine Sexualität unterdrücke oder verdränge, aber ich halte das aus und bin in der Regel bereit, darüber zu reden, solange ich dabei eine Chance sehe, dass die Schublade, in die ich gerade gesteckt wurde, verhandelbar ist. Ich finde die momentan herrschende Kultur der Tabuisierung bestimmer Meinungen höchst problematisch, weil sie eben keine echte Diskussion mehr zulässt und damit auch keine wirklich durchdachte und informierte Meinungsbildung.
  8. Ich finde außerdem, dass wir sowohl in Kirche wie auch in der politischen Gesellschaft den Ehebegriff klären müssen. Wenn Ehe begrifflich beschränkt ist auf lebenslang und zwischen Mann und Frau, dann kann es keine Ehe für homosexuelle Paare geben, und dann kann es auch keine Scheidung geben. Das entspräche dann - verkürzt gesagt - in etwa dem kirchlichen Eheverständnis. Wenn Ehe beschränkt ist auf im Idealfall lebenslang und zwischen zwei mündigen Menschen, dann landen wir eher bei dem, was im Augenblick politisch diskutiert wird. Die Frage, ob es zulässig ist, dass der Staat den gleichen Begriff verwendet wie die Kirche, und dabei möglicherweise etwas anderes meint, kann und will ich nicht entscheiden. Ich kann nur soviel sagen: Das ist schon länger der Fall. Würden wir vom genau Gleichen reden, würde sich die Frage erübrigen, warum die Kirche staatliche Eheschließungen nicht zwingend anerkennt.
  9. Ich halte es für richtig, wenn sich das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare vereinfacht. Ein Kind hat das Recht auf Stabilität und Sicherheit, und dazu gehört auch, dass es bei der nächsten Bezugsperson aufwachsen darf, sollte der ersten etwas zustoßen, ganz egal, welchen Geschlechts diese Bezugsperson ist. Ich halte Stabilität in Grundbeziehungen für ein Kind für sehr viel wichtiger als die Frage, ob homosexuelle Beziehungen nun richtig oder falsch sind. Das Argument, dass die beiden ja biologisch keine Eltern werden könnten, und damit auch keinen Anspruch auf ein gemeinsames Kind haben, halte ich für schwach: Genügend heterosexuelle Paare können biologisch keine Kinder bekommen, und einen Anspruch auf Kinder hat sowieso überhaupt gar niemand. Den einzigen Anspruch, den ich für richtig und wichtig halte, ist der des Kindes. Dieser Anspruch besteht auf Stabilität und ja, auch auf enge Bezugspersonen beiderlei Geschlechts. Aber wenn die Alternative zu einem homosexuellen Paar wechselnde Pflegefamilien oder Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen sind (egal, wie gut diese sind), glaube ich tatsächlich, dass ein stabiles homosexuelles Elternpaar die bessere Lösung sein kann.
    Ach ja, bevor mich jetzt jemand steinigt: Ich kann diese Überzeugung nicht wissenschaftlich untermauern, einfach deshalb, weil ich mich wissenschaftlich damit nicht ausreichend beschäftigt habe. Meine Quellen dafür liegen in der Erfahrung: In der Erfahrung mit homosexuellen Freunden und ihren Kindern, und in meiner eigenen Erfahrung, was es heißt, in einer Scheidungs- und Patchworkfamilie aufgewachsen zu sein.
  10. Ich glaube, dass es keine idealen Eltern gibt. Jeder Mensch erfährt in seiner Kindheit und Jugend Verletzungen, an denen er schwer zu tragen hat, und die ihn oft bis ins Alter begleiten. Aber es gibt bestimmte Bedingungen, die zwingend schwere Verletzungen verursachen, die einen Menschen definitiv ein Leben lang begleiten und behindern. Dazu gehört unter anderem der Mangel eines verlässlichen Familienumfelds. Ob dazu auch der Mangel eines verschiedengeschlechtlichen Elternhauses gehört, scheint mir bisher offen. Die Studien, die ich dazu gelesen habe, sind sich nicht einig, und auch die Erfahrungsberichte derer, die bei homosexuellen Paaren aufgewachsen sind, sind sehr unterschiedlich.
  11. Wenn ich Menschen nicht widerspreche und ins Gewissen rede, die sich durch die Gegend schlafen, weiß ich nicht, mit welchem Recht ich über die urteilen sollte, die homosexuell sind und das auch leben wollen. Ich glaube nicht, dass es an mir ist, zu beurteilen, welche Sünde die größere ist. Falls überhaupt eine Sünde die größere ist, dann vermutlich meine eigene - ganz gleich, welche. Sollte ich allerdings gefragt werden, was die Kirche dazu sagt, oder auch, was ich persönlich dazu meine, dann sage ich das. In aller Liebe, aber auch in aller Klarheit. Und das gilt nicht nur für Homosexualität.
  12. Ich muss trennen zwischen den Taten eines Menschen und der Person. Egal, was ein Mensch tut, ich muss ihn lieben, ich muss ihn respektieren, ich muss ihn als Ebenbild Gottes und mein Mitgeschöpf und Bruder oder Schwester sehen, denn das ist er. Diese Liebe muss immer an erster Stelle stehen. Bedingungslos und ausnahmslos immer.

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