Schon seit Jahren begleitet mich der alttestamentliche Text der Opferung Isaaks. Ich weiß nicht genau, warum, aber diese Erzählung fasziniert mich auf eine eigentümlich vorrationale Weise. Bisher habe ich mich immer eher in der Rolle des Isaak gesehen, der mit seiner Angst umgehen muss, und der in meinen Augen trotzdem ein unglaublich großes Gottvertrauen gehabt haben muss. (Wer mit Musik etwas anfangen kann, möge sich das Lied "Isaak" der Band Janus anhören - unglaublich.)
Am vergangenen Sonntag kam der Text zur ersten Lesung - Fastenzeit eben -, und hat mich wie immer tief berührt. Aber während der Predigt kam mir diesmal ein für mich ganz neuer Gedanke: Was, wenn ich Abraham bin? Was, wenn die Kirche Abraham ist?
Abraham ist der "Stammvater des Glaubens". Als jemand, der in der Verkündigung gearbeitet hat und immer noch arbeitet, liegt es eigentlich nahe, sich stärker mit ihm als mit Isaak zu identifizieren. Und auch die Kirche steht in vielem näher an Abraham als an Isaak.
Im Folgenden möchte ich einfach mal die Gedanken aufreihen, die mir kamen, und die mich immer noch beschäftigen. Nichts davon soll den Anspruch einer Exegese erheben, nichts davon passt wirklich gänzlich zum Bibeltext (die meisten Vergleiche hinken ziemlich schnell...), nichts davon will als Wahrheit verstanden werden. Aber alles davon halte ich für wert, dass ich (und vielleicht auch andere) darüber nachdenke und weiterdenke.
- Als ich ins Kloster eingetreten bin, war ich bereit, meine Kinder zu opfern für dieses Leben. Ja, meine Kinder waren und sind nicht geboren, aber ich war bereit, die Möglichkeit von Kindern zu opfern für den Weg, den Gott mir gezeigt hatte. Möglicherweise ist es jetzt zu spät dafür, die Opferung meiner Kinder "rückgängig" zu machen.
- Die Kirche opfert immer wieder ihre Kinder. Dort, wo kirchliche Mitarbeiter (Priester oder nicht ist hier nicht relevant) andere Menschen missbrauchen, opfern sie diese Menschen. Dort, wo sie den Missbrauch vertuschen und verschleiern, werden die gleichen Menschen ein zweites Mal geopfert.
- Wieviel bin ich bereit zu opfern, wenn mir das Ziel groß und wichtig genug scheint? Bin ich bereit, meine eigene psychische Gesundheit aufs Spiel zu setzen, für einen Weg, der mir zwar an sich richtig erscheint, der mir aber im konkreten Alltag mehr abverlangt als ich bereit bin zu geben? Vielleicht ist auch Abraham ein Opfer, obwohl er eindeutig Täter ist.
- Die Kirche opfert immer wieder ihre Kinder. Machtstrukturen, die um der Macht willen erhalten und verteidigt werden, lassen die Mächtigen über Leichen gehen, weil die Macht selbst sie blind macht. Das gilt für Bischöfe und Priester genauso wie für Ordensobere.
- Abraham glaubte so sehr an Gott, dass er bereit war, dafür alles zu geben, einschließlich seines Sohnes und seines Verstandes. Kann das wirklich Gott sein, der sowohl den Sohn als auch den Verstand geschaffen hat, der das verlangt? Ist das nicht eher eine Form von Psychose?
- Wenn bedingungslose Opferbereitschaft das Kennzeichen wahren Glaubens ist, ist dieser dann wirklich erstrebenswert?
- Die Kirche opfert immer wieder ihre Kinder. Oft steht nicht die bedingungslose Liebe Gottes im Mittelpunkt der Verkündigung, sondern eigene Interessen. Dort, wo Bischöfe sich dafür entschuldigen, dass die Gläubigen die Kritik am Bischof ertragen mussten (sic!), geht es nicht mehr um Gott, sondern ums eigene Image. Auf die Wortverwandtschaft zwischen Image - imago - Götze muss ich wohl kaum hinweisen. Dort, wo Verhaltensregeln wichtiger sind als Intentionen, geht es nicht mehr ums Wesentliche, nicht um die Substanz, sondern nur noch um die Akzidentien.
- Das Gelübde des Gehorsams ist zum Problem geworden. Es befreit nicht mehr so sehr von den eigenen Begehrlichkeiten als es an die Begehrlichkeiten der Anderen bindet. Das gilt sowohl für mich persönlich als auch für die Ordenslandschaft und die Kirche im Ganzen. Wir müssen uns dringend die Mühe machen, diesen Begriff sowohl theologisch als auch praktisch neu zu füllen, wenn wir ihn weiter verwenden wollen. Abrahams Gehorsam scheint mir kein geeignetes Beispiel zu sein, das zu Gott führt. Wenn im Namen des Gehorsams Menschen unterdrückt und geopfert werden, kann das nicht Gottes Willen entsprechen. Wenn in Ordensgemeinschaften über geistlichen Missbrauch gesprochen wird und gleichzeitig bei jungen Schwestern eine Form des Gaslighting praktiziert wird, damit sie besser "in die Gemeinschaft passen", kann das nicht Gottes Wille sein. Gehorsam darf nicht nur in eine Richtung gehen, und niemals seinen Endpunkt in einem Menschen haben.
Total starke Gedanken! Wirklich super!
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